#nr15 Spezial | Interview | Publikum
„Von Anfang an ging der Checkpoint ab wie eine Rakete“
Vom Chefredakteur-Management zurück zum Journalismus: Lorenz Maroldt erzählt, warum ihm das Schreiben des Checkpoints so viel Spaß macht, obwohl der Newsletter ihn in mancher Nacht zum Verzweifeln bringt.
Ein Interview von Josefa Raschendorfer
Message: Sie haben den Grimme Online Award und den deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung gewonnen – in der Kategorie Innovation. Was macht den Checkpoint so innovativ?
Maroldt:Das Innovative ist nicht die Form des Newsletters. Newsletter gibt es wie Sand am Meer und sie sind lästig, weil sie meistens zu Reklamezwecken versandt werden. Der Checkpoint ist keine Werbung für den Tagesspiegel, sondern ich verlinke auch auf andere Zeitungen, auf Blogs oder Twitterprofile. Das ist für die Gattung Newsletter relativ neu. Innovativ ist das Zusammenmischen von bekannten Dingen zu einer neuen Form. Natürlich ist Lokalberichterstattung nichts neues, aber diese extrem subjektive, pointierte, manchmal auch provokative Form der Lokalberichterstattung hat es so noch nicht gegeben.
Hat sich der Newsletter also von einem ursprünglichen strategischen Tool des Online-Marketings zu einem ganz eigenen journalistischen Produkt entwickelt?
Ganz genau. Der Checkpoint ist weder die Verlängerung, noch der Einstieg in den Tagesspiegel. Er ist ein kompaktes journalistisches Produkt, mit dem wir auch Leute erreichen, die nicht zu unseren klassischen Lesern gehören. Das Schreiben des Checkpoints ist eine kernjournalistische Arbeit. Ich arbeite so detailliert journalistisch, wie ich es schon lange nicht mehr getan habe. Ich sehe das als eine Art Rückkehr vom Chefredakteurs-Management zu einer urjournalistischen Arbeit und daran habe ich sehr großen Spaß.
Kann man das als neues Geschäftsmodell bezeichnen?
Mein erster Impuls war es nicht, etwas verkaufen zu wollen. Ich wollte Inhalte in einer neune Form vermitteln, die der Leser genießen kann und hatte Lust, etwas Neues auszuprobieren. Die Frage nach dem Geschäftsmodell kam natürlich. Zum einen ist es eine Online-Vermarktung mit dem Ziel der Kundengewinnung. Zum anderen wirkt sich der Checkpoint natürlich auch positiv auf das Image des Tagesspiegels aus.
Lohnt sich das?
Außer für das Redaktionssystems, wofür wir jeden Monat eine kleine Summe bezahlen, gibt es keinen finanziellen Einsatz. Es kostet nur den persönlichen Einsatz von mir und meiner Mitarbeiterin Stefanie Golla. Werbung im Checkpoint funktioniert sehr gut und bringt frischen Umsatz für den Verlag.
Lesen die Checkpoint-Abonnenten trotzdem noch die Zeitung?
Zunächst hatte der Verlag die Sorge, der Newsletter könnte die Zeitung kannibalisieren. Das Gegenteil ist der Fall: Der Checkpoint weckt das Interesse an der Zeitung. So hat der Tagesspiegel im ersten Quartal 2015 bei den Abonnentenzahlen leicht zugelegt. Wenn so ein Newsletter die Zeitung kannibalisieren würden, hätten wir kein Problem mit dem Newsletter, sondern mit der Zeitung. Wir diskutieren aber gerade, ob die Zeitung etwas von dem Ton des Newsletters braucht. Mit dem Checkpoint kommen wir den Leuten als Zeitung sehr viel näher.
Woran haben Sie erkannt, dass ein Format wie der Checkpoint beim Leser ankommen wird?
Ich lebe seit 40 Jahren in Berlin und erlebe oft klassische Situation, die jeder Großstadt-Bewohner kennt. Nach Eröffnung einer Ausstellung zum Beispiel, denke ich mir oft, dass ich ja noch genug Zeit habe, sie zu besuchen. Und dann vergesse ich es und ärgere mich. Ein Countdown zu wichtigen kulturellen Ereignissen sollte deshalb auf jeden Fall Teil des Checkpoints sein. Außerdem gebe ich jeden Tag bewusst eine Restaurant-Empfehlung, nicht Hunderte. Aus eigenem Erleben wusste ich, dass das Dinge sind, die man in Berlin braucht. Dazu kam mein Gefühl, dass wir viel zu brav miteinander umgehen. Jeder ätzt über das, was in der Stadt passiert, aber man liest es nirgendwo. Ich wollte also eine persönliche, kommentierende Form finden. Von Anfang an ging der Checkpoint ab wie eine Rakete.
Als Sie sich Gedanken zum Aufbau, zur Sprache, zur Form des Newsletters gemacht haben – was waren wichtige Kriterien?
Ein sehr wichtiges Kriterium war es, dass der Checkpoint als eine extrem leichte Form daherkommt. Die Leute sollen nicht das Gefühl haben, dass sie sich durch den Newsletter durcharbeiten müssen. Außerdem war mir wichtig, dass der Leser auch mal Lachen kann, weil ich finde, dass man sich auch über Dinge lustig machen muss. Deshalb habe ich diese gnadenlos subjektive, kommentierende Form gewählt. Im Grunde sind alle Meldungen kleine Glossen und Kommentare. Ein weiteres wichtiges Produktversprechen ist das Motto: Es entgeht dir nichts, was wirklich wichtig ist. Egal wo eine gute Geschichte steht, sie muss rein in den Checkpoint.
Welche empirischen Kennzahlen belegen den Erfolg des Newsletters?
Im Moment haben wir über 85.000 Abonnenten. Für ein lokales Angebot ist das eine tolle Zahl. Die Öffnungsrate ist sehr hoch, fast jeder Abonnent öffnet den Checkpoint auch. Das, was sonst keiner lesen würde, hat plötzlich ein paar Tausend Klicks durch den Checkpoint.
In Anbetracht der Tatsache, dass man täglich mit E-Mails überflutet wird – Wie schätzen Sie die Zukunft des Newsletters als ein Instrument zur Leserbindung ein?
Ich teile den Eindruck, dass es viel zu viele Newsletter gibt und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass es durchaus auch ein flüchtiger Erfolg sein kann. Mein Vorteil ist, dass ich den Leuten schon die Tür eingetreten habe, bevor diese die Augen aufmachen. Sie lassen sich von ihrem Smartphone wecken und dann bin ich schon da Das ist der große Unterschied zwischen Newsletter und Blog. Ich muss nicht warten, bis die Leute zu mir kommen und ich muss auch keine Reklame machen. Das ist schon charmant.
Wie sind die Reaktionen der Leser auf den Checkpoint?
Noch nie habe ich für irgendetwas Journalistisches so viel Resonanz bekommen. Das ist wirklich irre. Ich bekomme Mails aus aller Welt. Aus Indonesien oder Kalifornien. Leute die sich für Berlin interessieren, sehen den Checkpoint als einen kleinen Berlin-Anker, als Draht, durch den sie sich mit Berlin verbunden fühlen.
Wann schreiben Sie den Checkpoint?
Im Prinzip entsteht der Checkpoint im Laufe des Tages. Ich sauge ständig Themen auf. In der Regel ackere bis um 1 Uhr morgens konzentriert durch. Wenn ich abends auch mal in ein Konzert gehen will, arbeite ich oft auch bis um 4 Uhr morgens.
Können Sie das durchhalten?
Es frisst schon ziemlich. Wenn es nicht so viel Spaß machen würde, hätte ich schon längst wieder aufgehört. Ich sitze manchmal nachts da und bin verzweifelt. Dann kommt aber der Gegenmoment: alle sind schlafen gegangen, ich sitze mit einem Wein oder Bier vor dem Laptop, lache mich manchmal über Sachen tot, bastle an dem Newsletter und habe riesigen Spaß daran. Ob ich das durchhalten kann, weiß ich nicht. Wir denken darüber nach, den Kreis zu vergrößern und ein Team Checkpoint zu gründen.
Immer mehr Redaktionen springen auf den Newsletter-Trend auf – Sind Sie zuversichtlich, dass Sie sich auch in Zukunft mit dem Checkpoint von der Konkurrenz absetzen können?
Der Checkpoint setzt sich von anderen Newslettern dadurch ab, dass er im Prinzip eine kleine sehr detaillierte Lokalzeitung ist, die per Mail verschickt wird. Das gibt es sonst nirgends. Andere haben zwei bis drei Themen drin, ich verarbeite jeden Tag ein paar Dutzend Themen. Sorgen mache ich mir auch deswegen nicht, weil ich es immer klasse finde, wenn Leute etwas machen, an dem man sich messen kann.