Dokumentation | Populismus
Vortrag: Kann Journalismus die Demokratie schützen?
Kann Journalismus die Demokratie schützen? Diese Frage hatte das Institut für Digitale Ethik Message-Herausgeber Volker Lilienthal gestellt. In seinem Vortrag am der Hochschule der Medien in Stuttgart Anfang Dezember 2018 gab der Professor für „Praxis des Qualitätsjournalismus“ an der Universität Hamburg eine zwiegespaltene Antwort: einerseits ja, andererseits Nein.
Nein, weil …
- inzwischen zu wenige Deutsche kontinuierlich seriöse Medien rezipieren. Es gibt einen Überfluss im Netz, aber die Aufmerksamkeit dafür ist fragmentiert, das politische Lernen der Rezipienten ist nicht nachhaltig.
- das Milieu derer, die sich nicht überzeugen lassen wollen und medienskeptisch bis –feindlich eingestellt sind, doch zu groß ist, als dass man Gehör finden könnte.
- der Journalismus als sogenannte Vierte Gewalt ja nicht demokratisch legitimiert ist. Mindestens braucht er die Unterstützung der drei legitimierten Staatsgewalten. Wie überhaupt gilt: Die Stabilität einer Demokratie bewährt sich in der Stabilität seiner Institutionen.
Ja, weil …
- kritischer Qualitätsjournalismus, wenn er recherchestark ist und an seinem Thema kontinuierlich dranbleibt, als ein Frühwarnsystem für Bürger und Institutionen wirken kann.
- es in Deutschland eine gebildete Mehrheit gibt, die die Orientierungsleistungen des freien Journalismus zu schätzen weiß und dank dessen ihre politische Meinung bildet.
- ein hartnäckig nachfragender Journalismus, der das politische System beobachtet, einen Legitimationsdruck entfaltet, dem sich auch die Sturen und Harthörigen auf Dauer nicht entziehen können.
Das globale politische Phänomen, das sich in Deutschland vor allem in den Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) widerspiegelt, zeige eine große Unzufriedenheit unter Bevölkerungsgruppen, „die ihren politischen Willen nicht ausreichend repräsentiert sehen“, sagte er.
Der Journalismus, den es laut Lilienthal braucht, um die Welt zu verstehen und um sich zu orientieren, sieht sich mit einer gesellschaftlichen Strömung konfrontiert, deren Verhältnis zu Medien besonders angespannt ist. Dabei wies der Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur an der Universität Hamburg auf einen Widerspruch hin: Der Vorwurf der Populisten, es gebe keine Meinungsfreiheit (stattdessen nur medialen Mainstream oder „betreutes Denken“), wird Lilienthal zufolge dadurch widerlegt, dass heutzutage jeder über die Sozialen Medien seine Meinung mitteilen kann.
In seinem Stuttgarter Vortrag hob Lilienthal hervor, dass die populistische Medienkritik nicht bei folgenlosen Worten stehenbliebe. So seien unliebsame Journalisten von AfD-Parteitagen ausgeschlossen worden, würden nicht mehr eingeladen oder ihre Anfragen nicht beantwortet. Schlimmer noch seien die zunehmenden tätlichen Angriffe auf Berichterstatter bei Demonstrationen von populistischen Gruppen, etwa in Chemnitz.
Wie soll der Journalismus auf solche Provokationen und Angriffe reagieren? Lilienthal sagte, die AfD habe kein Recht, von der kritischen Berichterstattung ausgeschlossen zu werden. „Es kann keine Neutralität im Journalismus geben, wenn rote Linien überschritten wurden.“ Das sei etwa der Fall, wenn Alexander Gaulands äußert, Hitler und die Nazis seien nur „ein Vogelschiss“ in über 1.000 Jahren deutscher Geschichte. Wie darauf antworten? Als Musterbeispiel verwies Lilienthal auf den Tagesspiegel, der als Reaktion auf die Äußerung eine ganze Titelseite mit einer Bildercollage von Nazi-Verbrechen und deren Folgen füllte. Ein visueller Kommentar, wo Worte nicht mehr zu helfen scheinen.
27. März 2019