#NR23 | Qualität
»Wir brauchen einen Branchendiskurs«
Warum Aufträge von Regierungen Gift für die journalistische Unabhängigkeit sind, weiß Ingo Dachwitz. Der Redakteur von netzpolitik.org zieht selbst klare Grenzen.
Herr Dachwitz, um die 200 Journalist*innen wurden von der Regierung für Moderationen und andere Leistungen mit teils opulenten Honoraren bezahlt. Warum ist das ein Problem?
Weil es zu Interessenkonflikten kommen kann. Wenn man als Journalist*in in der Auftragnehmerrolle auftritt und Honorare von einer Organisation erhält, über die man berichterstattet, ist das problematisch.
Befürchten Sie in der Folge eine unkritische Berichterstattung?
Das muss man differenziert betrachten und im Einzelfall prüfen. Nur weil ein*e Journalist*in einen Auftrag und Honorar von der Regierung erhält, verfolgt er/sie noch lange nicht die Regierungslinie. Kritisch hinschauen sollte man trotzdem, weil sich Rollen vermischen können. Wenn eine Journalistin öfter üppig dotierte Aufträge von Regierungsorganisationen bekommt, begibt sie sich damit eher in eine gefällige Moderationsrolle. Wenn man dann wie bei Anke Plättner als Journalistin die »phoenix-Runde« zum Thema Innere Sicherheit moderiert, kann das zu Interessenkonflikten führen. In letzterer Funktion ist vielmehr eine kritische, nachfragende Rolle gefragt, auch gegenüber dem BKA, die dann möglicherweise so nicht ausgeübt wird. Schon der Anschein von korrumpierender Nähe ist problematisch. Trotzdem würde ich nicht per se von regierungsnaher Berichterstattung sprechen. Ich habe auch mal einen Impulsvortrag auf einer Veranstaltung des Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit gehalten. Mein Honorar wurde vom Bundesentwicklungsministerium gezahlt – trotzdem waren sowohl der Impuls als auch meine aktuelle Berichterstattung regierungskritisch.
Man muss also differenzieren?
Auf jeden Fall! Genau das ist in der Debatte untergegangen. Wer beispielsweise Expertise in Form eines Impulses weitergibt, muss auf jeden Fall bezahlt werden. Moderation ist ein komplexerer Fall, denn auch da gibt es Konstellationen und Fälle, die meiner Ansicht nach in Ordnung sind. Viel wichtiger ist für mich der Umgang damit im Nachgang. Hier ist Transparenz wichtig. Andernfalls spielen Journalist*innen denjenigen in die Hände, die die Debatte für eine Diskreditierung des Journalismus an sich vereinnahmen wollen – also Rechtspopulist*innen, die AfD, Ex-BILD Chefredakteur Julian Reichelt und Co.
In dieser journalistischen Grauzone bewegen sich auffällig viele freie Journalist*innen. Ist diese Gruppe besonders anfällig?
Das denke ich schon, weil die Arbeitsbedingungen für freie Journalist*innen noch prekärer als für Festangestellte sind. Dass manche zwischen Journalismus und PR oszillieren, ist kein neues Phänomen. Die prekäre Finanzlage im Journalismus macht besonders freie Journalist*innen anfällig für derartige Grenzverletzungen und Versuche der Einflussnahme.
Kann man bei Freien deshalb eine Ausnahme machen?
Nein, nicht pauschal. Ich habe Verständnis für alle Kolleg*innen, die sich finanziell über Wasser halten müssen. Das rechtfertigt aber nicht bestimmte Grenzüberschreitungen. Wie gesagt: Das Mindeste in solchen Fällen wäre, offen mit den Aufträgen umzugehen. Und im Zweifelsfall muss man eben auch mal »Nein« sagen.
Laut Bundesregierung ging besonders viel Geld, nämlich fast 900.000 Euro, an Mitarbeitende öffentlich-rechtlicher Sender. Nährt das Zweifel an der Staatsferne des Rundfunks?
Diese Genauigkeit der Liste der Bundesregierung ist mit Vorsicht zu genießen. Einige der aufgelisteten Journalist*innen scheinen nicht fest, sondern in freier Tätigkeit für die öffentlich-rechtlichen Sender zu arbeiten. Ich selbst bin dort zum Beispiel als Moderator aufgelistet, obwohl ich eigentlich nur den besagten Impuls auf einer Diskussionsveranstaltung gegeben habe. Darüber hinaus bin ich nicht der Meinung, dass die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Vergleich zu den Privaten besonders leidet.
Glauben Sie, hinter den Regierungsaufträgen für Journalist*innen steckt Kalkül?
Möglicherweise bin ich ein bisschen naiv, aber ich gehe nicht davon aus, dass von Ministerialbeamt*innen eine direkte Einflussnahme forciert wird, indem Journalist*innen »gekauft« werden. Es geht eher darum, Personen mit einer Fachexpertise oder einem Renommee für sich zu gewinnen. Im Zweifelsfall sind das die thematisch passenden Fachjournalist*innen – das ist ein inhärenter Konflikt. Mir ist jedoch kein Fall bekannt, in dem es Versuche gegeben hat, mit Moderationsaufträgen direkt Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Das wäre selbstverständlich ein absoluter Skandal. Eine Beeinflussung läuft dann wahrscheinlich doch ein bisschen subtiler ab: Man kennt sich, schätzt sich und möchte lukrative Auftraggeber*innen nicht verstimmen.
Liegt die Verantwortung für die Selbstkontrolle allein bei den Journalist*innen?
Wir sollten auch Redaktionen und Auftraggeber*innen nicht außer Acht lassen. Stichwort: Transparenz. So kann ein*e Auftraggeber*in kenntlich machen, wer für eine Veranstaltung als Moderation oder Impulsgeber*in beauftragt wurde und wie hoch das Honorar ausfällt. Auch die Redaktionen müssen einen Umgang damit finden. Mit einem Kollegen habe ich 2020 eine Studie über Journalist*innen und Medien veröffentlicht, die Geld von Google bekommen haben. Auch da mussten wir feststellen: Es gibt viel zu wenig Debatten über diese subtilen Formen der Beeinflussung. Wir brauchen einen Branchendiskurs über Schutzmechanismen, zum Beispiel in Form von Redaktionsstatuten oder Transparenzvorgaben.
Moderation, Medientraining, Vortrag, Panelteilnahme – viele zerbrechen sich gerade den Kopf, was ist verboten – und was gerade noch erlaubt? Haben Sie für sich persönlich Leitplanken?
Ein Impulsvortrag oder eine Panel-Teilnahme ist für mich unkritischer als eine Moderation. Und im Falle einer Moderation sollte ich vielleicht auch darauf achten, wie eng ich mich mit Auftraggebenden abstimme und ob diese beispielsweise Teil eines Panels sind. Wenn derjenige, der mich bezahlt, an einer von mir moderierten Diskussion teilnimmt, ist da eine Schieflage drin. Ich würde es dennoch nicht nur vom Format abhängig machen, sondern mich fragen: Ist die Auftraggeberin eine Organisation, über die ich viel berichte? Spielt sie eine wichtige Rolle in einem Themenbereich, mit dem ich mich in meiner Funktion als Journalist*in häufig befasse? Dann sollte man genau hingucken.
Die Fragen stellte Katharina Sophie Bellstedt.
16. August 2023