Sprache
Zustand kritisch?!
Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.
Teil I
Unnötig und unsachlich
von Udo Stiehl
Was Christoph Maria Fröhder beschreibt, ist eine Entwicklung, die keineswegs neu ist – über die in dieser Deutlichkeit aber zu wenig gesprochen wird. Im Nachrichtengeschäft ist ein Wettlauf um »mehr Emotion«, »mehr Nähe« und »bildhafte Texte« entstanden. Mit Worten wird um Aufmerksamkeit und Reichweite gebuhlt: Die Form rückt vor den Inhalt. Viele öffentlich-rechtliche Sender haben sich anstecken lassen – und sind in manchen Regionen von ihrer privaten Konkurrenz kaum noch zu unterscheiden. Unnötige und teils unsachliche Adjektive (verheerendes Erdbeben, tragischer Tod, schrecklicher Unfall, dramatische Rettung, etc.) sollen Aufmerksamkeit erregen. Es wird übertrieben zugespitzt formuliert, dennoch ist nicht jeder Meinungsaustausch ein »Streit«, nicht jede lebhafte Debatte ein »Krach« und auch nicht jede Diskussion innerhalb einer Koalition eine »Regierungskrise«. Hinzu kommen Schlagworte, die im besten Falle nur irreführend sind, wie z.B. der »Pferdefleisch-Skandal«, der in Wirklichkeit ein Etikettierungsbetrug war. Eines der schlimmsten Beispiele sind die »Döner-Morde«. So etwas hätte es niemals in ein Nachrichtenmanuskript schaffen dürfen.
Dieser Drang nach Geschwindigkeit hinterlässt seine Spuren in Redaktionen, die oft den falschen Ehrgeiz haben, schneller als die Konkurrenz zu sein. Das Ergebnis sind dann in der Tat mittelmäßig formulierte Meldungen, unvollständig recherchierte Berichte und eine Menge von Flüchtigkeitsfehlern. Mit der viel gepriesenen Präzision, also dem Kern der Nachrichtensprache, ist es nicht mehr weit her.
Appelle zu mehr journalistischer Sorgfalt sind immer wieder zu hören – Vorschläge zur Umsetzung dagegen kaum zu vernehmen. Wer »Qualitätsjournalismus« predigt, aber die halbe Redaktion aus Kostengründen entlässt, ist ein Blender und spielt dieser Entwicklung in die Hände. Wenn kaum noch Fachleute in den Redaktionen sitzen, muss man sich über die sprachlichen Schlampereien kaum wundern. Und der Geschwindigkeitsrausch befeuert die Fehleranfälligkeit.
Es gibt eine uralte Regel: »Get it first, but first get it right«. Wer unter dieser Maxime anständige Arbeit liefert, hebt sich wirklich von der Konkurrenz ab. Das ist vermutlich leider kein Garant für Quoten und Klickzahlen mehr, aber ein verlässlicher Garant für ordentlichen Journalismus.
Udo Stiehl, nach eigener Aussage manchmal leidenschaftlicher Sprachpedant, ist Nachrichtenredakteur bei WDR2 und beim Deutschlandfunk. Als Kolumnist im Medium Magazin beobachtet und kommentiert er die Sprache in den Medien und führt auf der Website floskelwolke.de Buch über die häufigsten Sprachsünden in deutschen Redaktionen.
*auch wenn es sich streng genommen nicht um einen Monolog handelt
15. März 2015